Geheimnis Pubertät

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Hirnforscher beginnen, die geheimnisvolle Seelenwelt Heranwachsender zu verstehen. Ihre Studien bieten Hilfe für geplagte Eltern.

Es ist weit nach ein Uhr nachts an einem Samstag, als der 17-jährige Erik Westermann* nach Hause kommt. Leicht genervt dreht sich seine Mutter im Bett um und registriert, dass ihr Sohn sie zwar mitten in der Nacht geweckt hat, aber immerhin daheim ist. Kurze Zeit später hört sie die Tür noch einmal ins Schloss fallen – Erik ist offenbar wieder in die Nacht entschwunden. Sein Handy lässt er ausgeschaltet, erst gegen zehn Uhr vormittags trudelt er bei seiner Mutter ein.

Dieses Teenager-typische Handeln ohne abzuwägen, ohne sich die Angst der Erwachsenen vorzustellen, es könnte etwas passieren, bringt die Eltern an den Rand der Belastbarkeit. In dieser Phase brauchen sie unendlich viel Geduld und extrem starke Nerven, denn die Jugendlichen machen sich nicht klar, was sie mit ihrem Verhalten auslösen können.

Gebrauchsanleitung für Teenager-Gehirne

Forscher entschlüsseln nun, weshalb Pubertierende sich selbst und ihrer Umgebung so häufig Probleme bereiten. Dabei erarbeiten sie eine neue Gebrauchsanleitung für Teenager-Gehirne: wie Eltern ihren Sprösslingen helfen können, möglichst unbeschadet durch diese schwierige Phase zu gelangen.

Jahrelang gingen Wissenschaftler davon aus, dass das Gehirn von Heranwachsenden um das 18. Lebensjahr herum ausgereift sei. Folglich dürfen sie mit Erreichen der Volljährigkeit wählen gehen, Kredite abschließen, heiraten, Auto fahren und eigene Entscheidungen treffen. Dann, so die Annahme, seien die grauen Zellen fertig ausgewachsen.

Abseits der Kontrolle durch Erwachsene

Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse widersprechen dieser Ansicht. Der US-Hirnforscher Jay Giedd vom National Institute of Mental Health bei Washington kam anhand von Computertomografie-Aufnahmen zu dem Ergebnis, „dass die Entwicklung des Gehirns erst zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr abgeschlossen ist“. Insbesondere eine Region, die für strategisches Denken verantwortlich ist, reift extrem langsam – der präfrontale Cortex. „Die Hirnregion, die plant, vorausschauend handelt, abwägt und die Impulse kontrolliert, tritt ihre Managementfunktion im Gehirn deutlich später an als bisher angenommen“, erklärt Giedd.

Zwar habe das Gehirn mit dem sechsten Lebensjahr 95 Prozent der Größe eines Erwachsenengehirns erreicht. „Danach finden aber noch täglich Umbauprozesse statt, die die Netzwerkstrukturen im Kopf bestimmen.“ In diesem Zeitraum spielt eine entscheidende Rolle, womit sich Jugendliche und junge Erwachsene beschäftigen. Denn viel benutzte Nervenverbindungen werden verstärkt, wenig benutzte sterben ab.

Jetzt ist entscheidend, ob ein Jugendlicher Sport treibt, ein Instrument spielt, sich mit akademischen Aufgaben beschäftigt oder ob er untätig ist, nur passiv zu Hause herumsitzt“, sagt Giedd. Besonderes wichtig für die Teenagerentwicklung sei freie Zeit, in der sie ihre eigenen Erfahrungen machen können, abseits der Kontrolle durch Erwachsene.

Strafen helfen wenig

Wenn Kinder in die Pubertät kommen, ändern sich vor allem drei Verhaltensweisen drastisch: Sie wenden sich von den Eltern ab und ihren Freunden zu, sie werden äußerst risikobereit und suchen nach intensiven, aufregenden Erlebnissen. „Natürlich landen die Pubertierenden mit diesen Verhaltensstrategien auch mal auf der Nase“, so Giedd, der selbst Vater von vier Kindern ist, drei davon im Teenageralter. Bei einer Bruchlandung solle man als Eltern zwar angemessene Kritik üben. Wichtig sei jedoch, dass auf jeden Tadel im Schnitt zweimal Lob für geglückte Aktionen komme. Strafen helfe eher wenig, denn dadurch verfestigen sich nicht diejenigen Nervenverbindungen, die die Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbstmotivation langfristig förderten.

Die 15-jährige Denise* aus Osnabrück feierte mit ihren Freunden ausgiebig Geburtstag. Ihr neues, teures Fahrrad ließ sie unabgeschlossen an einem Baum gelehnt stehen. Nach sechs Stunden Party war sie gut gelaunt und das Rad gestohlen. Die Ermahnungen ihrer Eltern, das Fahrrad nie aus dem Auge zu lassen, ohne es an einem festen Gegenstand angebunden zu haben, hatte sie nie ernst genommen. „Teenager lernen nur aus Erfahrungen, auch wenn sie manchmal bitter sind“, weiß Giedd. So bringt eine harte Strafe in diesem Fall wenig. Erfolgversprechender ist es, Verständnis zu zeigen und darauf zu vertrauen, dass Denise aus dem Malheur die richtigen Schlüsse zieht.

Eine wesentliche Rolle spielt das soziale Umfeld

Uneins sind die Forscher, wie viel Zeit Jugendliche höchstens mit digitalen Medien verbringen sollten. So konnte sich eine US-Kommission, der Giedd angehörte, nicht auf eine Stundenzahl verständigen. Wichtig sei vor allem, betont der Experte, Sport und Aktivitäten mit Freunden nicht zu vernachlässigen. „Bewegung wirkt sich positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit von Jugendlichen aus.“

Eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung spielt das soziales Umfeld. Der britische Kinderpsychiater Sir Michael Rutter vom King´s College in London erforscht den Einfluss der Umweltfaktoren auf die Intelligenz. Diese sei keine feste, vererbbare Größe, sondern variiere je nach Lebenssituation.

Die Meinung der Eltern ist Jugendlichen sehr wichtig

In einer Adoptionsstudie beobachteten Forscher Kinder bis ins Jugendalter, die früher misshandelt worden waren. „Die Intelligenz steigerte sich bei denjenigen Kindern am meisten, die in Familien mit hohem sozioökonomischem Status aufwuchsen“, so Rutter. Nicht allein die Gene oder die ersten negativen Erlebnisse waren für die Entwicklung der Intelligenz entscheidend, sondern das Umfeld, in dem sie als Kinder


Die Freunde haben einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die Entwicklung von Jugendlichen. Zu diesem Schluss kommt der Soziologe Mark Pachucki von der Harvard Medical School. Er untersucht die Rolle von Freundesnetzwerken auf die Gesundheit von Jugendlichen.

Wer etwa in einer Gruppe ist, die raucht, hat ein doppelt so hohes Risiko, selbst zur Zigarette zu greifen. Eltern sollten aber keinesfalls ihren Nachwuchs von Freunden fernhalten: „Je größer das Netzwerk, desto resistenter sind die Teenager gegen Depressionen“, so Pachucki. Fest steht, dass Eltern Einfluss nehmen können, indem sie die Freunde einladen und mit ihnen Zeit verbringen. „Die Meinung der Eltern ist den Jugendlichen sehr wichtig, auch wenn sie es nicht so zeigen“, weiß Jay Giedd.

Gebrauchsanleitung für Teenager

Diese Grundregeln helfen beim Umgang mit Pubertierenden:

Loben und tadeln
Wer einmal kritisiert, sollte im Verhältnis zweimal loben. Teenager lernen besser durch Motivation als durch Strafe und Verbote. Durch das Lob erfahren sie Respekt und nehmen dann auch Kritik ernster. Wer nur meckert, verliert Autorität.

Nicht jeden Kampf führen
Eltern sollten nicht auf allen Gebieten Auseinandersetzungen austragen. Wählen Sie den Bereich, in dem Ihnen die Konflikte wirklich wichtig sind, mit Bedacht. Ist es die Schule, das Ausgehen, das Geld, das Familienleben, das Essen, die Kleidung, das unaufgeräumte Zimmer, die unpassenden Freunde? Tolerieren Sie zum Beispiel schräge Kleidung oder bunte Frisuren, auch wenn Sie sie scheußlich finden.

Mehr Geduld haben
Das Gehirn von Teenagern ändert sich jeden Tag. Diese Umbauprozesse passieren aber in Zeitlupe. Eltern brauchen sehr viel Geduld über lange Zeit. Erst zwischen Mitte und Ende 20 ist das Gehirn erwachsen und kann planvoll denken.

Vorbild sein
Pubertierende lernen, indem sie ihre Eltern beobachten. Wenn diese häufig Alkohol trinken, es dem Nachwuchs aber verbieten, wird dies keinen Erfolg haben. Wer dauernd mit dem Smartphone in der Hand herumläuft, darf sich nicht wundern, wenn Jugendliche das Verhalten nachahmen.

Quelle: http://www.focus.de/schule/familie/erziehung/pubertaet/tid-30992/forschung-und-technik-medizin-geheimnis-pubertaet_aid_966623.html

 

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