Lesen Sie überhaupt noch Artikel zum Thema Burnout oder haben Sie die Diskussion darüber satt? Gastautorin Ilona Bürgel kann es nicht mehr hören, dass permanent alle im Stress stecken. Sie bevorzugt zufriedene Kollegen. Und erhält sich so ihre eigene Produktivität.
Totale Erschöpfung und die Gewissheit, am Ende seiner Kräfte zu sein: Was oft mit dem Begriff Burnout beschrieben wird, scheint der Endpunkt eines Weges zu sein. Hier darf man sich endlich einmal zurückziehen und sozial akzeptiert “nein” oder “ich kann nicht mehr” sagen. Der allgemeine Konsens dahinter: Die Erkrankten müssen richtig viel geleistet haben.
“Stress haben” oder “im Stress sein”, das sind mehr als gängige Small-Talk-Floskeln, es sind Ausreden auf hohem Niveau, und sie zeigen: Ich bin wichtig, begehrt, nachgefragt. Manch einer überbietet sich geradezu in den Ausführungen seiner beruflichen Belastungen und dem damit verbundenen Leid.
Ein fataler Trend: Denn verschiedene Studien haben gezeigt, wie kontaminierend negative Gedanken, negative Erwartungen, ein Problemfokus sind. Sie führen dazu, dass unser Denkhirn nicht mehr optimal arbeitet und wir uns und anderen das Leben schwermachen. Negative Haltungen und Gefühle aber auch Symptome werden übertragen. Kurz: Burnout ist ansteckend.
Der Arbeitspsychologe Arnold B. Bakker widmet sich an der Erasmus Universität Rotterdam diesem Thema. Er stellte fest, dass es Lebenspartnern selbst bei großer Anstrengung nicht gelingt, ihre Gefühle und Probleme aus dem Arbeitsleben von zu Hause fernzuhalten. Dies betrifft beispielsweise Erschöpfung und Zynismus, die als Burnout-Bestandteile definiert sind.
Mitarbeiter im Team beeinflussen einander
Doch nicht nur die Vertrauten im privaten Umfeld leiden: Was geschieht mit Menschen, wenn die Mehrheit eines Teams vor dem Burnout steht oder umgekehrt engagiert und euphorisch ist?
Das Burnout-Niveau von Teams korreliert mit den individuellen Burnout-Niveaus. Auch die Höhe des Gesamtengagements eines Teams sagt die Höhe des Engagements des Einzelnen voraus. Praktisch bedeutet das, dass der ständig nörgelnde Kollege Sie mit runterzieht. Und dass Sie sich lieber bei dem ewig gutgelaunten Sonnenschein der Abteilung aufhalten sollten, um sich mit guter Laune anzustecken. Die Konsequenzen sind weitreichender als Ihr Befinden: Produktivität, Konzentration, Einkommen und Kundenbewertungen hängen daran.
Doch wie genau funktioniert die Ansteckung mit dem Burnout-Virus? Aufgrund der vermehrten Konfrontation mit der Burnout-Symptomatik ordnen Menschen viel eher kurzfristig erlebte Symptome in diese Richtung ein. Sie bewerten dann etwa Kopfschmerzen nicht mehr als Kopfschmerzen, sondern als Zeichen eines sich anbahnenden Burnouts. Geschlecht, eigene Erfahrungen und Empfänglichkeit variieren dabei den Grad und die Leichtigkeit der Übernahme von Gefühlen und Symptomen.
Diese läuft in der Regel in verschiedenen Modellen und Stufen ab:
a. Kollegen als Vorbild
Andere Menschen fungieren wie Vorbilder, Symptome werden bemerkt und werden automatisch und unbewusst übernommen, so wie wir auch Gesten, Blicke oder Worte von anderen übernehmen. In den ersten Lebensjahren ahmen wir unsere Eltern nach, später Partner oder Kollegen.
b. Erinnerungen werden wach
Gefühle können aufgeschnappt werden, die der Partner oder Kollege durchlebt. Dabei werden ähnliche Situationen mit ähnlichen Gefühlen im eigenen Leben aktiviert und die Gefühle ins Jetzt übernommen. Wenn beispielsweise ein neuer Kollege keinen Anschluss findet, erinnert mich das daran, wie es mir ging, als ich die Stelle wechselte, wie einsam oder hilflos ich mich fühlte.
c. Mitgefühl als Herdentrieb
Bei der empathischen Identifikation teilen wir die Gefühle der anderen Person. Ich versetze mich in das Gefühl des Ärgers oder des ungerecht behandelt seins hinein, ohne dass es mich betrifft. Dies ist besonders bei Paaren und Familien verbreitet, wo “einer die Last des anderen” ganz selbstverständlich trägt und es ungehörig scheint, sich gut zu fühlen, wenn es dem andern schlecht geht. Werden beispielsweise Stellen abgebaut, leidet in der Regel die ganze Abteilung, unabhängig davon, ob man bleibt oder gehen muss.
d. Mediale Ansteckung
Unter dem Titel “Burnout? Nein, danke. Ich hab schon” veröffentlichten Charlotte Kraus und Simon Hahnzog ihre Studie zu der Frage, inwieweit Burnout durch die Präsenz in Umfeld und Medien zur Verstärkung eigener Symptom führt.
Ihre Erkenntnis: Die Übertragung von negativen Gefühlen und Burnout-Symptomen braucht keine Anwesenheit von Menschen, sondern kann auch durch die mediale Präsenz des Themas zustande kommen. Wir hören, lesen, sehen immer öfter davon, die gefühlte Burnout-Präsenz wächst unaufhörlich – und beeinflusst die Einschätzung des eigenen Burnout-Zustandes.
Wenn Sie also bis hierher gelesen haben, machen Sie sich schleunigst auf zu ihrer charmantesten Kollegin und erzählen sich die tollsten Erlebnisse des vergangenen Jahres!
Quelle: http://www.spiegel.de