So riskant ist ein Kaiserschnitt für das Baby

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Jedes dritte Kind kommt in Deutschland im Operationssaal zur Welt. In China ist es schon jedes zweite. Doch eine Geburt per Kaiserschnitt kann die Gesundheit der Kinder ein Leben lang beeinträchtigen.

Geburtstermin durchgeführt. Die Ärzte wollen Wehen während der Operation vermeiden.

Ein horizontaler Schnitt, tief unten am Bauch, so groß, dass der Kopf eines Babys durchpasst. Nein, ein Kaiserschnitt ist keine kleine Wunde. Sie tut weh und verheilt auch nicht innerhalb von zwei, drei Tagen. Und dennoch entscheiden sich in Deutschland immer mehr Frauen dafür, ihr Baby mit einer Schnittentbindung zur Welt zu bringen. Von den 656.390 Geburten, die im Jahr 2010 in Deutschland in einer Klinik stattfanden, waren fast 32 Prozent Kaiserschnitte.

Eine neue Studie, die die Bertelsmann-Stiftung in dieser Woche veröffentlicht hat, offenbart einen starken Anstieg: Zehn Jahre zuvor waren es nur zwanzig Prozent. So manche Ärzte raten Frauen zum Kaiserschnitt nicht nur, weil das Baby falsch liegt, sehr schwer ist oder die Mutter große Angst vor einer natürlichen Geburt hat, sondern auch, weil ein geplanter Kaiserschnitt gerade im Alltag kleinerer Kliniken leichter zu managen ist.

Eines vorweg: Die Möglichkeit, einen Kaiserschnitt im Notfall durchführen zu können, ist ein Segen. “Das Unterlassen eines Kaiserschnittes kann für ein Kind fatale Konsequenzen haben”, betont Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie an der Berliner Charité.

“Der Kaiserschnitt gehört zu den Operationen, die bis zu zwei Leuten gleichzeitig das Leben retten können – sowohl der Mutter als auch dem Kind. In Ländern, in denen keine Kaiserschnitte vorgenommen werden können, stirbt eine von 1000 Schwangeren durch Schwangerschaft und Geburt. Bei uns stirbt nur eine von 100.000 Frauen.” Kaiserschnitte können segensreich sein, gerade in Notfallsituationen.

Erhöhtes Risiko für Diabetes

Aber nicht alles ist gut an der Schnittgeburt. In Studien zeigt sich, dass sie sich negativ auf die Gesundheit des Kindes auswirken können. So zeigen Studien einen Zusammenhang zwischen Kaiserschnittgeburten und der Entstehung von Diabetes, Allergien und anderen Autoimmunerkrankungen. Die Theorie dahinter: Bei einer natürlichen Geburt kommt das Baby unweigerlich mit Bakterien des Vaginaltraktes der Mutter in Kontakt. Das könnte der Anstoß für die Aktivierung des Immunsystems des Kindes sein.

Ein gut trainiertes Immunsystem kann später differenzierter arbeiten und reagiert deshalb weniger leicht über.

“Wenn man diese Studien aber sozial bereinigt, dann ist der Effekt nur noch sehr sehr gering”, sagt Bührer. “Grob gesagt schützen ‘Dreck’ und vor allem ältere Geschwister vor Allergien. Aber eine Frau, die Mitte 40 ihr erstes und einziges Baby bekommt, ist vermutlich wohlsituiert. Somit hat ihr Kind ohnehin ein relativ hohes Allergierisiko – aber es ist auch die Frau, die einen Wunschkaiserschnitt möchte.”

Ob das erhöhte Allergierisiko nun auf die Schnittgeburt, das relativ hohe Alter der Mutter, auf fehlende Geschwister oder auf eine zu hygienische Umwelt zurückzuführen sei, sei letztlich kaum auszumachen. Das Risiko, dass das Kind an Typ-1-Diabetes erkrankt, ist zudem nur gering erhöht: Das durchschnittliche Typ-1-Diabetes-Risiko eines Neugeborenen liegt bei 0,2 Prozent, bei Kaiserschnittkindern bei 0,24 Prozent.

Spezielle Milch ist nur für Frühchen sinnvoll

In manchen Kliniken wird für Kaiserschnittbabys spezielle Milch propagiert, die mit probiotischen Bakterien angereichert ist. Sie soll die Darmflora des Kindes positiv beeinflussen. Die guten Bakterien, die das Kind bei einer natürlichen Geburt im Vaginaltrakt der Mutter mitbekommen hat, soll es so erhalten. “Es gibt nur eine gute Indikation für diese probiotischen Zusätze: Sehr kleine Frühchen kann man damit vor einer schweren Erkrankung, der nekrotisierenden Enterokolitis, schützen. Bei allen anderen Babys ist Muttermilch in der Regel ausreichend”, sagt Bührer.

Andere Zusammenhänge, die Wissenschaftler zwischen der Geburtsart und der Entwicklung von Kindern herausgefunden haben, sind allerdings nicht zu vernachlässigen: So werden geplante Kaiserschnitte meistens für die 38. Schwangerschaftswoche, zwei Wochen vor dem Geburtstermin, angesetzt. Die Ärzte wollen Komplikationen während der Operation ausschließen und planen den Schnitt deshalb vor dem Beginn der Wehen. Das aber kann problematisch für das Kind werden. “Es sind zwei Wochen, die dem Kind in der Entwicklung fehlen”, erklärt der Neonatologe.

Das Gehirn ist noch nicht ausgereift

“Eine Studie aus Schottland hat eindrucksvoll belegt, dass sich das Risiko für spätere Schulschwierigkeiten verdoppelt, wenn ein Kind zwei Wochen zu früh auf die Welt kommt. Normalerweise haben etwa drei Prozent aller Kinder Schwierigkeiten in der Schule. Bei Kindern, die zwei Wochen zu früh auf die Welt kommen – und damit der Mehrzahl der geplanten Kaiserschnittbabys –, sind es aber sechs Prozent.” Nicht die Operation selbst sei das Problem, sondern die fehlende Zeit, die das Kind im “Paradies des Mutterleibes” verbracht habe.

Etwa fünf Prozent der Kaiserschnittgeburten müssten beispielsweise wegen Atemstörungen für ein, zwei Tage auf die Neugeborenenstation. Die Lunge, aber auch das Gehirn seien in der 38. Schwangerschaftswoche manchmal noch nicht weit genug ausgereift. “Eine künstliche Vorverlegung des Geburtstermins bringt im Einzelfall Komplikationen mit sich”, erklärt Bührer.

“Die natürliche Geburt ist über Jahrmillionen von der Natur optimiert worden. Alles spielt optimal zusammen. Man kann sie nur schlechter machen. Dieses optimale Zusammenspiel wird beim Kaiserschnitt dadurch, dass der Operateur ein Messer zückt, natürlich erst einmal außer Kraft gesetzt.”

Auch für Mütter, die sich mehrere Kinder wünschen, kann ein Kaiserschnitt zum Problem werden. Denn bei einer weiteren Schwangerschaft und Geburt kann die erste Narbe aufreißen. Gerade junge Mütter sollten sich also, wenn es keine Indikation für eine Schnittentbindung gibt, überlegen, ob sie einen Kaiserschnitt wirklich wollen.

Ängste begünstigen die Entscheidung zum Schnitt

Häufig nennen Schwangere Ängste als Grund für ihre Entscheidung zum Schnitt. “Die Ängste einer Frau muss der Geburtshelfer auf jeden Fall berücksichtigen”, sagt Bührer. “Da spielen viele verschiedene Ängste eine Rolle”, sagt auch Katharina von Weizsäcker, Oberärztin an der Klinik für Geburtsmedizin der Berliner Charité. “Oft ist es die Angst vor Schmerzen, aber auch vor dem Kontrollverlust”, sagt sie.

Manche Frauen hätten aber auch Angst vor einer Schädigung des Kindes bei der Geburt, oder sie wollten den Geburtstermin – wie die kleineren Kliniken – gerne planen, sagt sie. Bei aller Kaiserschnittskepsis entwickelt sich aber auch die Operationstechnik weiter. Wo früher noch ein langer, oft vertikaler Schnitt gesetzt wurde, reicht heute ein kleiner Schnitt in der Schamgegend.

“Der größte Fortschritt bei der Durchführung des Kaiserschnittes ist aber, dass die Mütter heute keine Vollnarkose mehr bekommen, sondern eine rückenmarksnahe Anästhesie”, sagt Bührer. Dabei wird nur die untere Körperhälfte betäubt – und die Mutter bekommt ihr Kind sofort nach der Entbindung in den Arm. Sie erlebt die Geburt ihres Kindes also wirklich mit. Das Geburtserlebnis wird ihr nicht mehr genommen. Die enge Bindung zwischen Mutter und Kind, die bei einer natürlichen Geburt auch über die erhöhte Ausschüttung des Bindungs- oder “Kuschel”-Hormons Oxytocin im Gehirn der Mutter gefördert wird, kann so auch ohne diesen “Hormonsturm” im Gehirn schnell aufgebaut werden.

Mutter-Kind-Bindung ist beim Kaiserschnitt genauso gut

“Wenn man rund um den Kaiserschnitt herum Bedingungen schafft, also der Mutter das Kind gleich in den Arm gibt, Hautkontakt und Stillen ermöglicht – dann spielt die Art der Geburt für den Aufbau der Mutter-Kind-Beziehung eigentlich keine Rolle”, sagt auch Katharina von Weizsäcker. Die Rolle des Oxytocins werde vielleicht ein wenig überschätzt.

Auch Mütter, die aufgrund einer Erkrankung kein “Kuschelhormon” produzieren können, bauten eine innige Beziehung zu ihrem Baby auf. “Vermutlich erleichtert das Hormon die Entstehung der Bindung. Aber es ist mit Sicherheit nicht unbedingt notwendig”, sagt sie.

Soziale Faktoren führen zum Anstieg der Kaierschnittrate

Obwohl die natürliche Geburt in vielen Fällen wohl das Beste für Mutter und Kind sein dürfte, wird die Schnittgeburt häufiger. Das lässt sich allerdings auch mit gesellschaftlichen Faktoren erklären. “Die Kaiserschnittrate ist in Ländern wie der Elfenbeinküste sehr niedrig. Wird ein Land dann reicher, etwa die Türkei oder Brasilien, dann steigt die Kaiserschnittrate drastisch an. Und wenn ein Land dann sehr weit entwickelt ist, zum Beispiel Norwegen, dann sinkt die Kaiserschnittrate wieder. Entwickelt sich ein Land, so gewinnen Menschen irgendwann Vertrauen in die Technik”, sagt Bührer. Eine Zeit lang sei es dann geradezu chic, Kinder per Kaiserschnitt zur Welt zu bringen.

Irgendwann aber gehe der Trend dann wieder weg von der Technik. “In Norwegen etwa wissen werdende Mütter, dass sie jederzeit einen Kaiserschnitt in Anspruch nehmen können – neigen aber eher zu einer natürlichen Geburt. Es ist dort kein Prestigezeichen mehr, die Technik in Anspruch zu nehmen. Wunschkaiserschnittgeburten sind in skandinavischen Ländern mittlerweile eher die Ausnahme.”

Ungesunde Eltern – ungesundes Kind

Wie sich die kulturellen Umstände auf die Geburten auswirken, zeigt auch ein Blick auf die Statistik des Geburtsgewichtes. Dadurch, dass Frauen besser ernährt sind, ihre Kinder später im Leben bekommen und eine sitzende Lebensweise haben, werden ihre Babys auch dicker.

Der Gestationsdiabetes, also ein leicht erhöhter Blutzuckerwert während der Schwangerschaft, wird in Deutschland immer häufiger, fünf bis zehn Prozent aller Schwangeren leiden darunter. “Durch die höhere Konzentration an Zucker im Blut wird das Kind praktisch ‘gemästet'”, sagt Bührer.

Ist ein Kind zu dick und hat einen großen Kopfumfang, raten Ärzte zunächst zu einer speziellen Diät und Sport in der Schwangerschaft. Normalisieren sich Größe und Gewicht des Kindes nicht, ist möglicherweise ein Kaiserschnitt tatsächlich sinnvoll. Noch ist umstritten, ob der erhöhte Blutzucker während der Schwangerschaft auch dazu führt, dass Kinder häufiger an Typ-2-Diabetes erkranken.

“Wahrscheinlich ist es eher der Lebensstil”, sagt Bührer. “Wenn in einer Familie ohnehin zu viel gegessen und zu wenig Sport getrieben wird, ist das Übergewichts- und damit das Diabetesrisiko für ein Kind natürlich auch erhöht.”

Schwangere sollten sich also nicht nur Gedanken über die richtige Geburtsmethode machen – sondern auch über das Umfeld, in dem das Kind aufwächst.

Quelle: http://www.welt.de/gesundheit/article111210814/So-riskant-ist-ein-Kaiserschnitt-fuer-das-Baby.html

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